Die Bebilderung des Jahresberichts verrät mehr über die Performance und das Unternehmen als die Geschäftszahlen selbst.
Was haben ein Jahresbericht ohne Bebilderung und ein Mathebuch gemeinsam? Beim Anblick trockener Zahlen würde man beides gerne sofort wieder zuschlagen – besonders, wenn die Inhalte abstrakt sind. Daher ist es kein Wunder, dass sich mittlerweile ein breiter Mix aus Text, Grafiken, Fotografien und Zahlen in Jahresberichten etabliert hat. Auch, weil der Fokus nicht mehr nur auf den reinen Geschäftszahlen liegt, sondern die Werte, die Ziele und die Organisation des Unternehmens ebenfalls dargestellt werden sollen. Wie sich die visuelle Gestaltung entwickelt hat, welche Trends sich abzeichnen und wie Grafiken zum Erfolgsfaktor für Jahresberichte wurden, hat die Forscherin Havemo von der Linköping University am Beispiel von Ericsson, einem schwedischen Telekommunikationsunternehmen, untersucht.
Die Art der Grafik ist entscheidend
Havemo gliedert die grafischen Elemente für ihre Analyse in Schaubilder, Diagramme und Fotos, da sich jede der Kategorien für die Visualisierung anderer Informationen eignet. Schaubilder bieten sich besonders für abstrakte Konzepte wie strategische Ziele an, Diagramme für aktuelle oder angestrebte Zahlen und Fotos für reale Personen oder Events. Letztere können die Wahrnehmung durch geschickte Auswahl des Motivs gezielt beeinflussen. Ein gutes Beispiel hierfür sind laut Havemo Ölfirmen, die durch Bilder mit blauem Himmel versuchen, ihr Produkt mit Reinlichkeit zu assoziieren.
Das richtige Maß finden
Aber wie viel ist denn genug? Insgesamt nehmen Grafiken in Jahresberichten zu. Im Fall von Ericsson stieg die Zahl von drei Grafiken bei 28 Seiten im Jahr 1947 auf 117 Grafiken bei 188 Seiten im Jahr 2016. Ein Großteil dieser wurde über die Jahre hinweg jedoch wiederverwendet, Schaubilder mit abstrakten Inhalten machen mittlerweile den größten Teil der Grafiken aus. Auch zeigt sich, dass in Zeiten schlechter Geschäftsbilanzen von Ericsson auffallend wenige Grafiken im Jahresbericht integriert sind.
Das perfekte Rezept dafür, wie viel Grafikanteil vorhanden sein sollte, existiert jedoch nicht. Allgemein gilt aber: Je abstrakter und komplexer der Sachverhalt, umso geeigneter die visuelle Darstellung.
Das Authentizitätsparadoxon
Havemo konnte feststellen, dass sich Jahresberichte über den untersuchten Zeitraum hinweg immer ähnlicher wurden. Dies liegt unter anderem daran, dass häufig dieselben Themen (z.B. Globalisierung) angesprochen werden und jedes Unternehmen das Ziel verfolgt, ihren Stakeholdern ähnliche Informationen zu vermitteln. Daraus ergeben sich sowohl Vorteile als auch Nachteile. Auf der einen Seite sorgt die Vereinheitlichung dafür, dass Unternehmen ein hohes Maß an Legitimität ausstrahlen, auf der anderen Seite verlieren sie dadurch ihre erlebte Individualität, die gerade im Jahresbericht zur Geltung kommt. Dieser Zwiespalt wird in der Wissenschaft als das Authentizitätsparadoxon bezeichnet.
Was lernen wir daraus?
Auch wenn Jahresberichte zu einem stark visuellen Kommunikationsmittel geworden sind, hilft viel nicht immer viel. Die Anzahl von Grafiken sollte stets ausgewogen sein. Weiterhin sollten sie sich am Inhalt, der durch sie transportiert werden soll, orientieren und sich an dessen Abstraktionslevel anpassen. Und auch in Sachen Authentizität gilt es, ein gutes Mittelmaß zu finden, um nicht im Einheitsbrei der Jahresberichte zu versinken – denn Individualität ist kostbar.
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