Das Prinzip von Crowdfundings ist simpel: Menschen teilen ihre Ressourcen, um ein gemeinsames Ziel zu realisieren. Eigentlich verrückt oder nicht?
Dass Crowdfunding weitaus mehr kann, beweist dieses Interview, das PRtransfer mit Dennis Brüntje geführt hat. Brüntje ist Digital Business Consultant, ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter des Institutes für Medien- und Kommunikationswissenschaft an der TU Ilmenau und beschäftigt sich bereits seit Anfang 2011 in Forschung und Praxis mit dem Thema. Er leitet die wissenschaftlichen Arbeitskreise im European und im German Crowdfunding Network und begleitet Projektinitiatoren bei ihren Crowdfunding-Kampagnen.
PRtransfer: Herr Brüntje, wie würden Sie das Konzept des Crowdfundings in drei Sätzen beschreiben?
Dennis Brüntje: In drei Sätzen? Nun, zum einen hat es sich als Teilfinanzierung von Projekten und Unternehmen etabliert. Zusätzlich sollte Crowdfunding immer als Marketing-Kampagne verstanden werden, die entsprechend vorbereitet und durchgeführt werden sollte. Dabei ist es für die Projekt-Starter wichtig von Anfang an transparent zu agieren – die strategische Kommunikation ist entscheidend.
Wo sehen Sie denn die Hauptunterschiede zu klassischen Finanzierungskonzepten?
Hauptunterschied ist vor allem, dass Projekte in den Fokus der Öffentlichkeit gelangen, die bislang nur speziellen Investoren zugänglich waren. Viele Projekte, die beispielsweise für eine Bank zu risikoreich wären, konnten so erfolgreich realisiert werden. Durch Crowdfunding finanzieren sich also auch Projekte, die sonst schlichtweg nicht finanziert werden könnten. Das liegt auch daran, dass die Crowd Zugang zu spannenden neuen Projekten erhält. Das Prinzip an sich ist ja nicht neu. In der Geschichte findet man einige Beispiele. Viel zitiert wird die Finanzierung des Sockels der Freiheitsstatue. Als Herausgeber der New Yorker Zeitung World initiierte Joseph Pulitzer 1885 einen Finanzierungsaufruf über sein Medium. In sechs Monaten wurden mehr als $100.000 von der damaligen Crowd eingenommen. Der Begriff Crowdfunding wurde allerdings erst 2006 geprägt.
Jetzt haben Sie den Bau des Sockels der Freiheitsstatue angesprochen und festgestellt, dass das Prinzip an sich nicht neu ist. Wieso also der Hype?
Das Prinzip ist nicht neu, da haben Sie Recht. Dass das Ganze jetzt im Internet stattfindet, ist sehr wohl neu. Zudem wird die Finanzierung demokratisiert. Die Crowd bekommt die Möglichkeit sich an spannenden Ideen zu beteiligen. Andersherum hat man selber die Möglichkeit, eine eigene Idee zusammen mit der Crowd zu realisieren. All das steht im Kontext der heutigen Zeit sowie der Sharing Economy. Crowdfunding-Plattformen ermöglichen eine kostengünstige Finanzierung und Verbreitung über das Internet. In Deutschland gilt fast ausschließlich das „Alles-oder-Nichts-Prinzip“. Projekte werden nur dann erfolgreich finanziert, wenn die aufgerufene Zielsumme eingenommen wird. Damit ist Crowdfunding ein demokratischer Prozess. Die Crowd entscheidet was finanziert wird und was nicht. Im ersten Halbjahr 2016 wurden laut Crowd-Finanzierungsmonitor immerhin 67,6 Millionen Euro per Crowd-Finanzierung eingenommen.
Das klingt ja gar nicht mal so schlecht. In Amerika, wo das Crowdfunding herkommt, scheint das Ganze allerdings noch besser zu funktionieren. Wo sehen Sie die zentralen Unterschiede zu Deutschland?
Letztlich sind die Unterschiede in der Unterstützungskultur zu sehen. In Deutschland gibt es Förderungen durch die öffentliche Hand. In den USA macht die öffentliche Hand eher weniger. Dadurch ist die Unterstützungsbereitschaft einzelner Personen einfach höher. Meinem Nachbarn für eine tolle Idee mal ein bisschen Geld zuzustecken, ist viel verbreiteter als es hier bei uns der Fall ist. Es ist daher schwierig Crowdfunding in Deutschland mit anderen Ländern wie den USA zu vergleichen. Projekte auf Plattformen wie kickstarter.com generieren dort viel größere Summen. Mittlerweile können aber auch deutsche Projektinitiatioren mit passenden Voraussetzungen auf diesen internationalen Plattformen erfolgreich agieren.
Wie lässt sich denn die Tatsache erklären, dass sich beim Crowdfunding Menschen zusammenschließen, um das Projekt einer wildfremden Person zu finanzieren?
Genau diesen Aspekt haben wir uns an der TU Ilmenau von der Forschungsseite mal angeschaut. Das sind weniger die materiellen und immateriellen Gegenleistungen die angeboten werden, sondern vielmehr das Gefühl der Zugehörigkeit zu einem Projekt oder auch die Empathie mit einem Projektinitiator. Diese Faktoren wirken sehr stark motivierend. Ich kann als Unterstützer Projekte ermöglichen, kann Teil einer Bewegung sein, Teil eines Projektes sein. Weiterhin bekomme ich die Möglichkeit, Input zu geben. Das Internet ist ja sehr dialogorientiert. Mit Crowdfunding hat nun jeder die Möglichkeit, Einzelprojekte und Einzelunternehmen voranzubringen und gleichzeitig mit ihnen in einen persönlichen Dialog zu treten.
Welche Projekte haben Sie persönlich schon unterstützt und wieso?
Das waren häufig kreative oder kulturelle Projekte über Plattformen wie startnext.com oder kickstarter.com, die mich persönlich überzeugt haben. Insbesondere auch regionale Projekte. International habe ich auch mal ein Videospiel unterstützt. Im Crowdinvesting-Bereich war ich bisher nur sehr dosiert unterwegs. Hier habe ich erst in ein Unternehmen investiert. Es werden aber sicher weitere Investitionen folgen, um mein Risiko zu streuen.
Welche Kriterien muss ein Projekt Ihrer Meinung nach erfüllen, damit es für das Crowdfunding funktioniert?
Das ist eine sehr gute Frage. Es gibt natürlich plattformspezifische Voraussetzungen. Manche sind da sehr breit aufgestellt, manche haben vielleicht auch einen spezifischen Finanzierungsfokus. Allgemein gesprochen muss das Projekt ein deutliches Potenzial mitbringen, um die Crowd zu überzeugen. Die Projektinitiatoren müssen vermitteln, dass sie in der Lage sind, das, was sie da aufrufen, auch umzusetzen. Deshalb ist es wichtig, wie immer wenn man um Geld bittet, authentisch zu agieren. Unternehmer müssen gewisse Skills mitbringen. Letztendlich steht und fällt aber alles mit der Projektkommunikation.
Welchen Mehrwert bietet das Crowdfunding-Konzept für Unternehmen?
Crowdfunding ist vor allem ein Marketing-Instrument. Es ist absolut reputationsschaffend, wenn es einem Unternehmen gelingt, ein Projekt über die Crowd erfolgreich zu finanzieren. Es kann auch als Qualitätssignal für weitere Investoren fungieren. Für institutionelle Investoren beispielsweise. Es ist auch möglich, dass Business Angels oder Banken eher bereit sind Geld zu geben. Zudem betone ich immer wieder, dass Crowdfunding nur eine Teilfinanzierung ist. Man wird es nie schaffen, beispielsweise ein Filmprojekt ganz über die Crowd zu finanzieren. Der Marketingaspekt überwiegt hier klar. Auch kommt Crowdfunding hauptsächlich in einer sehr frühen Phase der Unternehmensfinanzierung zum Tragen. In einer Phase, in der das Projekt für größere Investoren noch nicht attraktiv oder für Banken zu risikoreich ist. Gerade in Deutschland haben wir hier noch eine Finanzierungslücke. Crowdfunding kann dabei helfen, diese zu schließen.
Sie haben gerade erwähnt, dass Crowdfunding immer eine Teilfinanzierung ist. Als Gegenbeispiel fällt mir die vollständige Finanzierung des Kinofilmes Stromberg ein.
Der Film hat da natürlich eine Sonderstellung. Der Bekanntheitsgrad des Testimonials Christoph Maria Herbst war für die erfolgreiche Finanzierung entscheidend. Das Ganze wurde zudem als Eigen-Funding und somit ohne Plattform abgewickelt. Das ist ein weiterer Unterschied zu vielen Projekten in diesem Bereich. Wichtig für den Erfolg des Projektes war außerdem die Anlage als Crowd-Investing. Die Initiatoren haben versprochen die Crowd an den Ticket-Verkäufen zu beteiligen, wenn eine Million Euro eingenommen wird. Viele kannten das Format auch schon vorher, sodass die Crowd durch die große Fan-Gemeinde der Stromberg-Serie bereits vorhanden war.
Das hört sich nach sehr viel Vertrauen an, das man als Unterstützer einem Projektinitiator entgegenbringen muss. Sehen Sie auch Gefahren, die durch Crowdfunding entstehen können? Welche Möglichkeiten gibt es diese Gefahren zu bannen?
Wie so häufig gibt es auch im Crowdfunding schwarze Schafe. Ich habe da von einem Fall bei kickstarter.com gehört. Da wurde eine komplette Crowdfunding-Kampagne verschleiert und die Initiatoren haben das Geld eingesackt und waren weg. Es gibt also auch Fälle des Missbrauches. Diese sind allerdings nicht die Regel. Die Plattformen haben da in den vergangenen Jahren sehr viel gelernt. Insbesondere als das Thema in den Medien ankam. So wurde im Fernsehen zum Beispiel über die Investigativ-Reise eines Journalisten berichtet, die über startnext.com finanziert wurde. Nach diesem Beitrag sah sich die Plattform mit etlichen Projekten konfrontiert, die private Urlaubsreisen finanzieren wollten. Mittlerweile gibt es für so etwas eigene Plattformen. Startnext.com hat damals allerdings einen Riegel vorgeschoben. So muss der Projektinitiator nun erst eine gewisse Zahl an Fans sammeln, damit das Projekt überhaupt für die Finanzierung freigeschaltet wird. Diese sogenannte Startphase ist mittlerweile aber optional und soll weiter vorrangig dazu dienen, Feedback zum Projekt einzuholen, bevor die Finanzierung gestartet wird. Des Weiteren habe ich ja bereits das „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ angesprochen, welches in Deutschland vorherrschend ist. Fehlt auch nur ein Cent, wird das Projekt nicht realisiert. Wenn ein Projekt nicht erfolgreich ist, fließt das Geld zurück an die Geldgeber. Nur wenige Plattformen ermöglichen es zudem auch Flexible Funding zu betrieben. Hierbei können die Projektinitiatoren jeden Euro, jeden Cent, den sie eingenommen haben, behalten. In Deutschland steht zudem der Verbraucherschutz an erster Stelle. So wurden nach Maßgabe des Gesetzgebers beispielsweise neben erforderlichen Warnhinweisen auf den Crowdinvesting-Plattformen auch Legitimationsprozesse zum Verbraucherschutz etabliert, die beispielsweise bei der Anmeldung eine Bestätigung der Identität erforderlich machen.
Da hat sich ja wirklich schon viel getan. Ich würde abschließend gerne einen Blick in die Zukunft wagen. Wo sehen Sie das Crowdfunding in zehn Jahren?
Momentan ist es sehr spannend, weil wir im Markt schon viele Umbrüche erlebt haben. Es gibt Plattformen, die aus dem Markt wieder ausgeschieden sind. Es gibt Plattformen, die andere übernommen haben. Neben generalisierenden Plattformen gibt es auch eine Fülle von Nischenplattformen, beispielsweise für die Finanzierung von medizinischen oder wissenschaftlichen Projekten. Es wird spannend sein zu sehen, welche Nischen sich inmitten der generalisierenden Plattformen durchsetzen werden. Weltweit gibt es zum jetzigen Zeitpunkt 1250 etablierte Plattformen. Ansonsten ist im Markt ein leichtes Wachstum zu verzeichnen. Ein Bereich, der in den letzten Jahren völlig explodiert ist, ist der Bereich der Immobilienfinanzierung. In den nächsten Jahren wird sich zeigen, wie die Volumina steigen, welche Segmente sich durchsetzen. Viele durch Crowdfunding finanzierte Start-Ups stecken momentan in der interessanten Phase. Es ist also auch hier spannend zu sehen welche Unternehmen sich durchsetzen werden und welche in der Insolvenz enden. Ich denke, dass Crowdfunding sich als etablierte Finanzierungsform weiter durchsetzen wird. Was ich persönlich auch sehr spannend finde, ist die stärkere Verzahnung zwischen Crowdfunding und Crowdsourcing. Also letztlich die Crowd nicht nur über finanzielle Beteiligung, sondern zum Beispiel über eine ideelle Weiterentwicklung des Projektes einzubinden. Diese Verzahnungen können wir heute schon beobachten, sie wird vermutlich künftig noch stärker. Ich denke außerdem, dass sich das Crowdfunding-Konzept in Zukunft noch viel weiter ausdifferenzieren wird.
PRtransfer bedankt sich bei Dennis Brüntje für das Interview.
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