In unregelmäßigen Abständen kommen bei PRtransfer Gastautoren aus Forschung und Praxis zu Wort. Heute schreibt Dr. Christian Salzborn über Shitstorms.
Shitstorms sind heutzutage ein fester Bestandteil der Diskussionskultur im Internet. Täglich wird der Begriff in den Medien verwendet; oft als Bezeichnung für jegliche Krise in Social Media. Seit 2013 hat er durch die Aufnahme in den Duden seinen festen Platz im deutschen Sprachgebrauch gefunden. Speziell Unternehmen sind regelmäßig Adressaten der digitalen Empörungsflut. Unzählige Autoren der Fach- und Branchenmedien, der PR oder des Marketings thematisierten den Shitstorm und ebenso ungezählt ist die Verwendung des Begriffs in den Medien. Eine umfassende Auseinandersetzung mit dem Phänomen lag jedoch bis dato nicht vor.
Ziele der Arbeit
Vor diesem Hintergrund hatte sich Christian Salzborn im Jahr 2011 das Ziel gesetzt, in seiner Doktorarbeit die grundlegenden Merkmale und Strukturen eines Unternehmens-Shitstorms zu untersuchen. Aus den Ergebnissen leitete er Handlungsempfehlungen für die Onlinekrisenkommunikation von Unternehmen ab und bestimmte weiterführend Shitstormtypen.
Dr. Christian Salzborn, 1985 in Sachsen-Anhalt geboren, war bereits während seiner Schulzeit als freier Mitarbeiter bei der „Mitteldeutschen Zeitung“ aktiv. Gleichzeitig zum Studium an der TU Ilmenau arbeitete er als stellvertretender Chefredakteur der Campusseite bei der „Thüringer Allgemeinen“. Sein Diplom zum Medienwissenschaftler erhielt er 2009 an der TU Ilmenau. Nach dem Studium arbeitete er zunächst im Bereich „Finanzpresse/Investor Relations“ der Porsche SE. Im Rahmen seiner Doktorarbeit wechselte er 2011 zur Onlinekommunikation der Daimler AG. Heute leitet er bei der Marke smart (Daimler AG) Kooperationen und Product Placement-Projekte.
Ergebnisse
Die Untersuchungen haben gezeigt, dass der Shitstorm mehr als das Gebrüll an den digitalen Stammtischen des Netzes darstellt. Er ist ein komplexes Phänomen, das durch die Social Media-Plattformen, Themen sowie die beteiligten Akteure als zentrale Variablen determiniert wird und entsprechende Reaktionen seitens des Adressaten verlangt, um potenziell negativen Folgen entgegenzuwirken.
Plattformen
Die spezifischen Eigenschaften der Social Media-Plattformen haben eine hohe Relevanz für die Entwicklung eines Shitstorms. Erst ihre Charakteristika und Strukturen ermöglichen den Nutzern, ihre Meinung öffentlich kundzutun, sich selbst darzustellen, oder die Meinung anderer zu diskutieren und zu teilen. Dabei ist zwischen Plattformen zu unterscheiden, auf denen sich die originäre Empörung abspielt (Primärebene) und solchen, auf denen nur über den Shitstorm berichtet wird, u. a. die Medien online wie offline (Sekundärebene). Ein Shitstorm, der sich ausschließlich auf die Primärebene konzentriert, ist daher für die allgemeine Öffentlichkeit nicht existent, solange er auf der Sekundärebene nicht thematisiert und so einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.
Thema (und Auslöser)
Das Thema stellt eine zentrale Determinante für die Ausprägung und den Verlauf eines Shitstorms dar. In vielen Fällen wird das Hauptthema der Empörung von weiteren Nebenthemen flankiert. Shitstorms sind daher selten Prozesse mit nur einem Thema, sondern bilden oft ein Sammelsurium an unterschiedlichen Inhalten, Meinungen und Intentionen von untereinander unabhängigen Individuen in Social Media. Oft stehen Verfehlungen der Unternehmen im Service- und Dienstleistungsbereich am Pranger; Produktfehler sind weniger im Fokus des Sturms. Dabei ist zwischen Gesellschafts- (Themen mit allgemein gesellschaftlichem Bezug) und Unternehmensebene (Unternehmensverfehlungen) zu unterscheiden.
Akteure und Intention
Oft bestimmen dominante Akteursgruppen den Verlauf eines Shitstorms. Zu unterscheiden ist zwischen Akteuren mit starkem Bezug zu den im Sturm thematisierten Inhalten, wie Tier-, oder Umweltschutz (Themenbezug), und Nutzern mit starker, teils persönlicher Bindung zum Adressaten wie Kunden, Fans, oder Mitarbeiter (Adressatenbezug). Eine allgemeine Öffentlichkeit wird dadurch nicht repräsentiert, sondern interessens- oder themengeleitete Teilöffentlichkeiten. Klare Ziele werden dabei von den Akteuren selten geäußert. Der Shitstorm ist meist ein Ventil für die „Shitstormer“, um ihre Meinung über einen in ihren Augen vorliegenden Missstand zu äußern. Die Tonalität der Kommentare reicht von unsachlichen Äußerungen und Beleidigungen bis zu sachlich formulierter Kritik. Dass Shitstorms reine Hasstiraden darstellen, ließ sich nicht belegen.
Shitstormtypen
Die aus den Erkenntnissen ebenso abgeleiteten Typen eines Shitstorms helfen den Unternehmen, den Shitstorm einzuordnen und darauf aufbauend Handlungsstrategien zu entwickeln.
Der plötzliche Sturm
Er bricht ebenso schnell aus wie er endet. Ein kritisches Thema liegt im Vorfeld nicht vor. Der Sturm ist oft selbst verschuldet und überrascht den Adressaten. Meist besteht nur wenig Interesse an dem Fall in den Online- und Offlinemedien.
Die schwelende Empörung
Bei diesem Typ liegt im Vorfeld bereits ein kritischer Themenkontext vor. Der Sturm wird innerhalb dieses Kontextes durch Eigenverschulden oder Dritte ausgelöst. Das Interesse der Medien an dem Fall steigt.
Der gesellschaftliche Pranger
Auch im dritten Typ liegt ein bestehender Krisenkontext vor. Das Thema erreicht aber eine Gesellschaftsebene (z. B. Menschenrechte, Tierschutz, etc.), die losgelöst von dem Adressaten vom allgemeinen Interesse ist. Medien online wie offline interessieren sich für den Fall.
Ergebnis für die Krisenkommunikation der Unternehmen
Eine neue „Shitstormkommunikation“ gibt es nicht. Wichtig ist, bei seinem Auftreten nicht den Kopf zu verlieren. Kommunikative Maßnahmen vor, während und nach einem Shitstorm basieren auf bekannten und etablierten Ansätzen der Krisenkommunikation offline und online, deren Anpassung notwendig ist, um mit den vielschichtigen Anforderungen eines Shitstorms umgehen zu können. Die Art der Reaktion (Entschuldigung, Dialog, Löschungen, Sperrungen etc.) hängt von den spezifischen Charakteristika des Sturms ab und ist nicht pauschal zu definieren. Ein Allheilmittel gegen den Shitstorm liegt nicht vor.
Folgen des Sturms
In keinem der untersuchten Fälle ließen sich nachhaltige Folgen sowohl bei den wirtschaftlichen Kennzahlen (Absatz, Umsatz) als auch der Reputation nachweisen. Deutlich wurden jedoch kurzfristige Auswirkungen für die Reputation, die zum Beispiel durch eine vermehrt kritische Berichterstattung auf der Sekundärebene gefördert werden. Dass Shitstorms Unternehmen „in den Untergang“ treiben, konnte nicht belegt werden. Entsprechend kritisch ist mit der in vielen Beiträgen zu dem Phänomen betonten Gefahr des Sturms umzugehen. Fest steht jedoch, dass das Phänomen Shitstorm zu einem festen Bestandteil der Onlinekommunikationskultur geworden ist. Auch in Zukunft werden sich Unternehmen mit dem digitalen Wutgebrüll auf Facebook und Co. auseinandersetzen müssen. Die Dissertation konnte nur ein Fundament ebnen, um auch in Zukunft die Diskussion über den Shitstorm auf eine theoretisch wie empirisch begründete Basis zu stellen.
- Der beste Shitstorm ist der, der nie ausbricht. Maßnahmen von professionellem Monitoring bis Reputation-Management sind eine wichtige Basis der Prävention. Speziell die „schwelende Empörung“ und der „gesellschaftliche Pranger“ sind so gut im Vorfeld identifizierbar.
- Wenn es brennt, nicht den Kopf verlieren! Angst und Unwissenheit seitens der Unternehmen, speziell bei der „plötzlichen Empörung“, die den Adressaten ohne Vorwarnung trifft, sind treue Begleiter eines jeden Shitstorms. Wer die Grundlagen der Krisenkommunikation online wie offline beherrscht, ist gut gerüstet.
- Oft beschriebene Allheilmittel wie der Dialog und die Entschuldigung sind fallspezifisch zu prüfen und versprechen nicht pauschal ein Ende des Sturms.
- Nach dem Sturm ist vor dem Sturm? Nur, wenn die Evaluation als zentraler Bestandteil der Krisenkommunikation vernachlässigt wird. Wer aus seinen Fehlern lernt, seine gegen den Shitstorm angewandten Maßnahmen prüft und aus dem Fall lernt, ist vor dem nächsten Wutgebrüll gerüstet.
- Methode: Methodenmix aus quantitativer und qualitativer Inhaltsanalyse
- Fallzahl n = 40 Shitstorms aus den Jahren 2010-2013
- Nutzung von Suchalerts (z. B. „Shitstorm“, „Krise“, „Skandal“) in Google und Twitter, Medienarchiven, Datenbanken sowie Fachliteratur zur Identifizierung und Bewertung der Fälle (wo möglich, wurde der Shitstorm nach Identifizierung live begleitet)
- Keine Plattformeingrenzung im Vorfeld der Untersuchung: Umfassende Analyse der Fälle auf allen identifizierbaren, relevanten Plattformen sowohl offline wie online
📖 Weiterlesen: Salzborn, C. (2015). Phänomen Shitstorm – Herausforderung für die Onlinekrisenkommunikation von Unternehmen. Hohenheim (Dissertation). Online unter: http://opus.uni-hohenheim.de/volltexte/2015/1110/