Strategien für öffentlich-rechtliche Medien
Die Beziehung zwischen öffentlich-rechtlichen Medien und sozialen Netzwerken ist jung, aber spannungsreich. Verlässlichkeit und Gemeinwohl stehen schnellen Trends und kommerzieller Logik gegenüber. Hallvard Moe von der Universität Bergen untersucht anhand der Beispiele von Deutschland und Norwegen, ob ein Rückzug aus Social-Media-Plattformen für öffentlich-rechtliche Sender sinnvoll sein kann.
Chancen und Risiken von Social-Media-Plattformen
Soziale Medien ermöglichen große Reichweiten – vor allem bei jungen Menschen. Gleichzeitig geraten öffentlich-rechtliche Anbieter in Abhängigkeit von Algorithmen, Geschäftsmodellen und Datenpraktiken, die oft im Widerspruch zu ihrem Auftrag stehen. Öffentlich-rechtliche Medien stellen unabhängige und qualitativ hochwertige Inhalte für die Öffentlichkeit bereit, die der Information, Bildung und Unterhaltung dienen – und dabei weder kommerziellen noch politischen Interessen unterworfen sind.
Doch genau hier liegt die Herausforderung: Inhalte können plötzlich verschwinden oder in ihrer Sichtbarkeit eingeschränkt werden. Und während öffentlich-rechtliche Medien für Transparenz stehen, leben Plattformen von personalisierter Werbung und Datenauswertung.
Zwei Länder, zwei Strategien
Um diese Herausforderung besser zu verstehen, vergleicht Moe zwei konkrete Beispiele: Deutschland und Norwegen.
Deutschland: Plattformstrategie mit „funk“
ARD und ZDF setzen mit ihrer Jugendmarke funk auf eine aktive Präsenz in sozialen Medien. Über 70 Kanäle liefern Inhalte direkt auf YouTube, TikTok oder Instagram. 2023 erreichte funk rund 15 Millionen Menschen pro Monat, 60 Prozent davon sind zwischen 14 und 29 Jahren. Ein Modell, das Reichweite über Plattformintegration sucht – und findet.
Norwegen: Rückzug mit Augenmaß
Der norwegische Sender NRK geht den entgegengesetzten Weg. Nachrichten- und Sportseiten auf Plattformen wurden reduziert oder eingestellt. Ziel ist es, Nutzer stärker auf eigene Angebote wie Website, Mediathek und App zu lenken – für eine stärkere Kontrolle über die eigenen Inhalte und Unabhängigkeit. Ganz ohne Social-Media-Plattformen geht es aber auch dort nicht. Über die Hälfte der 18- bis 24-Jährigen in Norwegen nutzen regelmäßig TikTok, Instagram oder Snapchat für Nachrichten.
Europa im Vergleich: Wie erreichen Menschen Nachrichten?
Laut dem Digital News Report 2023, auf den sich Moe in seiner Analyse stützt, variiert die Nutzung von Social Media und anderen Informationskanälen für Nachrichten stark zwischen den Ländern.
In Norwegen nutzt etwa ein Drittel der Bevölkerung Plattformen wie Facebook oder X, und rund ein Viertel informiert sich über YouTube. In Italien sind es bereits fast die Hälfte, die Facebook oder Twitter als Nachrichtenquelle nutzen, und über ein Drittel schaut regelmäßig Nachrichten auf YouTube. In Rumänien ist der Anteil noch höher – dort holen sich mehr als die Hälfte der Menschen ihre Nachrichten aus sozialen Netzwerken, viele auch über Videoplattformen.
Auch der generelle Zugang zu redaktionellen Inhalten unterscheidet sich deutlich. In Nordeuropa ruft die Mehrheit – rund zwei Drittel – Nachrichten direkt über die Webseiten oder Apps der Anbieter auf. In Süd- und Osteuropa hingegen ist das eher die Ausnahme. Dort ist es oft weniger als die Hälfte, die direkt auf Medienangebote zugreift. Stattdessen spielen soziale Netzwerke eine viel größere Rolle als Haupteinstiegspunkt für Nachrichten.
Das bedeutet: Ein Rückzug von Plattformen, wie ihn NRK versucht, ist in Norwegen theoretisch möglich, in vielen anderen Ländern jedoch riskant, da dort große Teile des Publikums über soziale Medien erreicht werden.
Fazit: Kein einfacher Ausweg
Deutschland und Norwegen verfolgen zwei gegensätzliche Wege im Umgang mit Social-Media-Plattformen. Während funk in Deutschland auf maximale Reichweite setzt, stärkt Norwegens NRK durch einen gezielten Rückzug die Aufsicht über Inhalte.
Hallvard Moes Studie zeigt, wie regionale Unterschiede und gesellschaftliche Rahmenbedingungen diese Entscheidungen beeinflussen. Wichtig bleibt, eine Balance zwischen Reichweite und Unabhängigkeit zu finden – und sicherzustellen, dass öffentlich-rechtliche Inhalte glaubwürdig, verständlich und für alle zugänglich bleiben.
TOP 3
HANDLUNGS
EMPFEHLUNG
1. Klare Strategien entwickeln, welche die Plattformnutzung mit der Stärkung eigener Angebote verbinden.
2. Eigene Plattformen wie Websites, Mediatheken und Apps verbessern und aktiv bewerben.
3. Zielgruppen nach Alter und Präferenzen analysieren, um die optimale Balance zwischen Plattformen und eigenen Angeboten zu finden.
Autor:innen: Hallvard Moe
Methode: Qualitative Analyse und vergleichende Umfrageauswertung
Stichprobe: Digital News Report 2023
Erhebungszeitraum: Anfang 2023 / Veröffentlichung: October 25, 2024